Theologie mit Haltung: Eine Verlustanzeige

Vor fünf Jahren starb der große deutsche Theologe Johann Baptist Metz. Heute fehlt sein scharfer Blick und seine theologische Grundhaltung mehr denn je.
Johann Baptist Metz
Johann Baptist Metz (gest. 2019) / Foto: Franz Joseph Rupprecht, kathbild.at

"Er fehlt. Schmerzlich". Mit diesen Worten habe ich meinen Nachruf auf Johann Baptist Metz (1928-2019) vor fünf Jahren begonnen. Und es wäre ein Leichtes, diese Worte erneut an den Beginn zu stellen. Schließlich hat sich der Bedarf an prononcierter theologischer Widerrede in verschiedenen, damals noch nicht in dieser Form bzw. Dramatik abzeichnenden Bereichen und Graden weiter verschärft. Ein politischer Rechtsruck in Europa geht mit einem vor fünf Jahren noch nicht in dem Maße deutlichen anti-universalistischen Reflex und einer Kultur der Abschottung einher; der Gaza-Krieg hat einen Antisemitismus erneut aufbrechen lassen, in dem selbst die Linke beängstigend geschichtsvergessen irrlichtert; im Kampf gegen die Klimakatastrophe bleiben christliche Stimmen in Form einer rein individualistischen Appellativ-Moral hinter ihren Möglichkeiten zurück; und die katholische Kirche selbst droht den Synodal-Tod zu sterben: Vor lauter Selbstbefassung übersieht sie die eigentliche Dramatik der Gotteskrise und übt sich stattdessen bis in das Laienengagement hinein in ekklesiologischer Verschlüsselung ihrer Krise.

 

Unterwegs zu einer Theologie der Welt

 

Baustellen gibt es also genug. Doch warum sollte der Rekurs auf einen verstorbenen, schon in seinen letzten Lebensjahren zusehends verstummten deutschen Theologen da weiterhelfen? "Weil heute eine Theologie mit Haltung fehlt", antwortet der Metz-Schüler und Leiter des Forschungsinstituts Philosophie Hannover (fiph), Jürgen Manemann, auf diese Frage. Was ist damit gemeint? Dazu eine kurze Erinnerung: In den 1960er Jahren hat Metz – in produktiver Auseinandersetzung mit seinem eigenen Lehrer, Karl Rahner, sowie den Vordenkern der Frankfurter Schule wie Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Jürgen Habermas – eine "Theologie der Welt" entwickelt. Gemeint war eine Theologie, die sich um die Welt sorgt, in der die Welt nicht als zunehmend säkulare Konkursmasse verstanden wird, sondern "als gesellschaftliche Mitwelt und Geschichtswelt", in der wiederum "Geschichte primär als Endgeschichte, Glaube primär als Hoffnung, Theologie primär als eschatologisch-gesellschaftskritische Theologie sichtbar" wird, wie Metz damals schrieb. Wer Gott sagt, muss auch Mensch, muss auch Geschichte sagen und erkennen, dass sich Geschichte nur als Leidensgeschichte begreifen lässt, als Wartesaal der Hoffnung, in der Menschen berufen sind zu leben "etsi deus non daretur" – als wenn es keinen Gott gäbe.

 

Das war die Geburtsstunde der "Neuen Politischen Theologie", unter der dieses Denken künftig firmierte – und in deren Kielwasser sich eine ganze Reihe von öffentlich-theologischen Debatten entspann – sei es die Zeitdiagnose einer weit über die bekannte Kirchenkrise hinausgehenden Gotteskrise, die Debatte um eine christliche "Mystik der offenen Augen" als prägnanter Gegenpol gegen jede moderne spirituell-inwändige Seelenschau, oder aber die Rede von der "Option für die Armen", die vor allem von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie entfaltet wurde. Das biblisch fundierte Eingedenken fremden Leids ("Memoria passionis") und die sich darin artikulierende "Autorität der Leidenden" führte Metz gegen jede Form klerikal-anmaßender, letztlich hohler Institutionen-Autorität ins Feld. Und in seinem frühen, bereits in die 1960er zurückdatierenden Eintreten für eine revolutionäre "Initiativ-Kirche", kritisierte er jedes Gerede von der angeblich heilsnotwendigen Fortexistenz eines bürgerlich eingehegten Christentums. Kirche für andere – oder keine Kirche.

 

Politisch-theologische Arenen der Gegenwart

 

Doch es ginge am Anliegen des Theologen vorbei, würde man diese Stichworte in eine Art "Schule" überführen und somit zu einem Lehrgebäude gerinnen lassen. Und so zeigt sich der Metz-Schüler Manemann, der selbst zuletzt Bücher über "Rettende Umweltphilosophie" oder über das "Revolutionäre Christentum" geschrieben hat, überzeugt, dass Metz heute Anstöße auch in aktuellen Debatten geben würde bzw. könnte. Scharf wären vermutlich Metz' Einwürfe im Blick auf den wiedererstarkten Antisemitismus – „gerade auch jenen Antisemitismus in der Linken“. Da hätte Metz den heutigen Vertretern etwa der Kritischen Theorie "ihr Schweigen um die Ohren gehauen", so Manemann. Das Bekenntnis zum Staat Israel sei bei Metz zugleich stets mit dem Blick auf die Leidenden auf beiden Seiten – also auch aufseiten der Palästinenser – einhergegangen. Frieden und Versöhnung sind laut Metz erst möglich, wenn man die Kraft aufbringt, nicht nur der eigenen Opfer, sondern auch der Opfer und des Leidens der anderen zu gedenken. Unter dem Stichwort der "Compassion" fasste Metz etwa den historischen Handschlag von Jassir Arafat und Shimon Peres 1993 in Camp David zusammen, mit dem das Osloer Abkommen besiegelt wurde. Damals hatten beide Seiten zugesagt, künftig nicht mehr allein auf die eigenen Leiden zu blicken, sondern auch die Leiden der anderen zu betrauern.

 

Aber auch in der innerkirchlichen Debatte um Synodalität würde Metz fehlen: "Wir leben in einer Zeit der Gotteskrise – und was machen wir? Wir reden nur noch von der Kirche und nicht mehr von Gott", so Manemann. Hier hätte Metz eine institutionelle Einkapselung kritisiert, ist sich der Theologe sicher – und stattdessen auf den "revolutionären Charakter" einer "Projekt-Kirche" verwiesen, die "rausgeht und nach neuen Allianzen sucht". Vielleicht ist genau dies die Botschaft der sich leerenden Kirchen: Geht hinaus in die Welt.

 

"Konvivialer Anthropozentrismus"

 

Für vorrangig auch für eine theologische Befassung erachtet Manemann heute die Klimakatastrophe, auf die Metz schon als Autor des Synodendokuments "Unsere Hoffnung" 1975 hingewiesen hatte. Selbst zuletzt hatte Metz in einem kleinen, erst in seinen Gesammelten Schriften veröffentlichten Fragment kurz vor seinem Tod eine einschneidende, gleichwohl prophetische Kurskorrektur in einem der Zentralbegriffe seines Denkens angedeutet. So plädierte er angesichts der ökologischen Multi-Krise für eine Art nachholende, zweite anthropologische Wende. Die erste Wende, d.h. die Hinwendung zum Menschen und seiner Rolle in der Schöpfung, für die der Name seines Lehrers Karl Rahner stand – sie könne heute nicht mehr ohne die nicht-menschliche Mitwelt, nicht mehr ohne die Mitgeschöpfe gedacht werden. Einen "konvivialen Anthropozentrismus" nennt dies Jürgen Manemann. Eine Korrektur, die Metz selber nicht mehr ausführen konnte, die er aber gleichsam als Nachlass der heutigen Theologie ins Stammbuch schrieb.

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