Allüberall schießen Gottesdienst-Streaming-Angebote angesichts der Corona-Pandemie und des Verbots öffentlicher Gottesdienste wie Pilze aus dem Boden. Doch bleibt da nicht ein schaler Beigeschmack, wenn das Heilige derart "versendet" wird? Eine Erinnerung an eine alte, gleichwohl von der Wirklichkeit längst überholte Debatte - und ein Vorschlag, was daraus für heute folgen könnte.
Eine Übersichtskarte auf www.katholisch.at/corona/gottesdienste weist aktuell 62 Pfarren bzw. Kirchen aus, die Gottesdienste täglich oder wöchentlich per Online-Stream über Youtube, Facebook oder andere Plattformen anbieten. Und täglich kommen weitere dazu, bis sich das kirchlich-liturgische Leben wieder normalisiert hat. Und das nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene, ob mit dem Papst, Bischöfen oder bei Ordensgemeinschaften: Das Online-Streaming von Gottesdiensten liegt im Trend. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass manche dieser Streaming-Angebote auch in der "Post-Corona-Zeit" weitergeführt werden. Denn geben die Zugriffszahlen diesem Angebot nicht Recht?
Szenenwechsel. In der Sakristei der Kölner St. Gereon-Kirche verfolgten am 25. März ausgewählte Gäste - darunter auch zahlreiche deutsche Bischöfe - die Übertragung
eines Gottesdienstes aus der Kirche. Die Wandlung wurde nicht gezeigt, stattdessen fokussierte die Kamera einen Ministranten. Und bei der Hebung des Kelches war der Priester nur aus der Ferne zu
sehen. Im Anschluss daran veröffentlichte man ein Papier, in dem es hieß: "Wir sagen Ja zur Übertragung der hl. Messe im Fernsehen." Das war 1953 - und bildete zugleich den Auftakt zur später und
bis heute regelmäßigen Übertragung von Gottesdiensten im Fernsehen.
Es folgte damals eine heftige Debatte unter Theologen vor allem in Deutschland über die Frage, ob dieses Ja der Bischöfe eine würdige Modernisierung kirchlicher
Verkündigung oder vielleicht doch eher eine Banalisierung des Heiligen bedeute. "Was will man denn mit diesem Unfug?" polterte etwa Karl Rahner. "Die Ungläubigen bekehren? Diejenigen von ihnen,
die schon ernstlich fragen und suchen, werden den Weg zur Kirche selbst nicht zu weit finden", schrieb Rahner in einem scharfen, "Die Messe und das Fernsehen" überschriebenen Essay in der
Zeitschrift "Orientierung". Die Kirche habe es schlichtweg nicht nötig, "durch eine Fernsehkamera eine ungläubige Welt beim Vollzug ihres höchsten Mysteriums solange zugaffen zu lassen, bis ihr
auch diese Sensation wieder langweilig geworden ist."
Dem Unbehagen Ausdruck verleihen
Es ist von einer höchst unterhaltsamen Skurrilität, diese Ausgabe 17 des Jahres 1953 der "Orientierung" zur Hand zu nehmen, findet sich darin doch genau jene
Debatte über die theologische Sinnhaftigkeit, ja, Rechtmäßigkeit von Gottesdienstübertragungen im Fernsehen mit ihren Proponenten auf der einen Seite wie mit ihrem glühenden Kritiker Rahner auf
der anderen Seite nachgezeichnet. Jenseits des bloßen Unterhaltungswertes lohnt die Lektüre auch (medien)theologisch: Denn bleibt nicht bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten des
Online-Zugangs bzw. der Online-Teilhabe an Liturgien ein Unbehagen?
Oder um es zuzuspitzen: Ist der Verdacht gänzlich von der Hand zu weisen, dass viele Menschen den "Klick" in die eigene Kirche und die dortige Übertragung des
solistisch Gottesdienst feiernden Priesters nur aus purer Neugier oder gar einem Voyeurismus setzen? Wer kann sich ernsthaft auf das Mysterium konzentrieren und fokussieren, wenn man als medial
geschulter "User" permanent mit anderen Online-Angeboten zum Wegklicken animiert wird oder sich zumindest klarmacht, dass der zelebrierende Priester dies vor einem lächerlich verrenkten
Handy-Gestell oder einem Laptop am Altar macht...?
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich will hier nicht das aufblühende und aufrichtige Engagement viele Pfarrer und Pfarren madig machen, die sich darum bemühen,
das kirchliche Leben auch in der Krise aufrechtzuerhalten. Krisen erfordern halt einen gewissen hemdsärmeligen Pragmatismus. Doch sie entheben nicht davon, theologisch nach-zudenken, was das
Medium mit dem "User" macht; schließlich ist dies - mit Neil Postman gesprochen - nicht nur die Message, sondern auch die Massage.
Karl Rahner konnte in seinem Beitrag von vor fast 70 Jahren natürlich nicht ahnen, wie sich die Debatte entwickeln würde bzw. auf welche Fragen sie heute
hinauslaufen würde: Etwa die Diskussion über das, was eine zur "Hauskirche" vor dem Fernsehen bzw. Computerbildschirm versammelte Familie denn liturgisch darf und was nicht; oder die Debatte
darüber, ob mit dem massenhaften Streaming nicht eine völlig überzogene Priesterzentrierung ins Wort und ins Bild gesetzt wird. Dennoch lohnt der Blick zurück auf das, was Rahner ein Anliegen war
- denn wie bei (theologischen) "Klassikern" üblich, so bewahren manche Gedanken von ihnen auch jenseits ihres jeweiligen geschichtlichen Sitzes im Leben bleibende Relevanz.
Wider den beiläufigen Voyeurismus
Bei Rahner geht es in seiner Kritik an den Übertragungen von Gottesdiensten im Fernsehen vor allem um die Übertragung des Kerngeschehens: der Feier des Mysteriums,
der Eucharistie. "Darf die Fernsehkamera das sehen und jedermann darbieten, was der gläubige Christ, der das Mysterium der Kirche mitfeiert, sehen darf und sieht?" Eine rhetorische Frage.
Natürlich nicht. Denn - so Rahners erste These, die er in dem Text entfaltet: "Es gibt Dinge, die nur unter der dauernden, verfügenden Kontrolle der gestattenden oder versagenden Freiheit des
Zeigenden gezeigt und nur innerhalb dieser Zone von einem anderen bei personaler Beteiligung und personalem Mitvollzug mit dem gezeigten Ereignis gesehen werden dürfen, nicht aber in der nackten
Neugier eines bloßen 'Zuschauens'."
Mit anderen Worten: Die Kamera rückt dem Priester und dem gefeierten Mysterium in schamloser Art und Weise nahe, insofern sie das Geschaute der ganzen Welt
gleichermaßen darbietet - ob sie es würdig mitfeiert oder nur beiläufig und voyeuristisch betrachtet. Ja, eh, mag man als "Digital Native" sagen. So ist das in einer medial durchdrungenen Welt
eben. Es führt kein Weg mehr zurück in den vormedialen Garten Eden. Interessanter und wohl auch mit bleibend relevanter erscheint da Rahners zweite These, die darauf aufbaut und die zugleich das
anfangs angedeutete Unbehagen am liturgischen Streaming-Wettlauf unterfüttert: "Wenn irgend etwas, gehört sie [die Messe, Anm.] zu den Gegenständen dieser metaphysischen Scham, die das
Personal-Zentrale und dessen Gegenstand, das Heilige, vor dem bloß neugierigen Zugriff des Unbeteiligten bewahrt."
Damit führt Rahner eine Kategorie ein, die eben jenes online forcierte Unbehagen theologisch mit Fleisch versieht: die "metaphysische Scham". Dass dies nicht nur
theologisches Wortgeklingel ist, verdeutlicht Rahner mit einem Rekurs auf die Kirchengeschichte, die ebendiese metaphysische Scham seit der frühen Kirche mit dem Begriff der "Arkandisziplin"
umschrieben hat: Die alle Religionen verbindende Scheu davor, das Heiligste offen zu zeigen, auf den Areopag der Öffentlichkeit zu zerren. Die Kirche, so Rahner, besitzt ein waches Gespür dafür,
"dass der Kern ihres heiligen Kultes nicht jedermann zugänglich sein dürfe". Denn dem Heiligen droht die Banalisierung, die Vergleichgültigung, wenn es gleich-gültig gemacht wird zum
Profanen.
Anders-Orte bewahren
Dies ist der eigentliche Grund, ja, die Sorge, aus der heraus Rahner gegen die Messübertragungen poltert. Und er schließt daran eine Überlegung an, die meines
Erachtens auch heute höchst bedenkenswert, ja, in seiner Übertragung auf die Online-Kommunikation geradezu prophetisch ist - und die hier daher abschließend in voller Länge zitiert werden
soll:
"Wird einmal der Fernsehapparat zu dem normalen Mobiliar des Durchschnittsmenschen gehören und wird er dann gewohnt sein, allem und jedem zuzusehen, was eine
wahllos neugierige Kamera zwischen Himmel und Erde erspäht, dann wird es für den Spießbürger des 20. Jahrhunderts eine unerhört aufregende Sache sein, dass es noch Dinge gibt, die man nicht im
Lehnstuhl sitzend und eine Semmel kauend anschauen kann. Es wird für den Menschen der kommenden Jahrhunderte ein unsagbarer Segen sein, wenn es noch einen Ort, eben die Kirche, geben wird, wo er
noch sein natürliches humanes Maß bewahren kann, wo er selber mit seinem Leibe sich nicht vorkommen muss als archaisches, noch nicht ersetztes Residuum in einer Welt von Apparaten, mit denen er
sich selbst umgibt und beinahe zu ersetzen sucht, wo er noch eine Stätte hat, die ihn immer wieder heilt von der eigenen Maßlosigkeit im Technischen, das zwar seine Aufgabe und sein Schicksal
ist, aber nur in dem Maße ihm nicht zum Verderben wird, als es ihm gelingt, in seinem Dasein auch den alten Raum des bloß Humanen, des Kleinen, des unmittelbar Leibhaftigen zu bewahren."
Was aus Rahners Medienkritik folgt
Was könnte aus dieser "Total-Kritik" für heute gewonnen werden? Was würde es gerade für das Online-Streaming von Gottesdiensten bedeuten, wenn man die Kritik von
Rahner ernst nähme? Ein "Total-Verbot" von diesen Angeboten kann sicherlich nicht das Ziel sein - das würde nicht nur der Selbstverständlichkeit der Mediennutzung und der lebensweltlichen
Durchdringung mit Medien nicht gerecht werden, sondern darüber hinaus auch die Position Rahners gleichsam auf einen theologischen Sockel heben, als wäre diese Position nicht auch Kind ihrer Zeit
gewesen, die inzwischen fast 70 Jahre fortgeschritten ist...
Dennoch lassen sich meines Erachtens zwei Schlüsse aus den Anstößen Rahners ziehen: Zum einen braucht es ein kritischeres Verhältnis zu den Orten, d.h. zu den
Portalen, die zum Streaming genutzt werden. Zum anderen braucht es ein Nachdenken über die Formen des Gestreamten, also darüber, ob die bloße Übertragung eines Gottesdienstes, wie er "offline" in
einer Kirche stattfindet, dem Medium wirklich gerecht wird.
Im Blick auf die Webplattformen, die zum Streaming derzeit genutzt werden, lassen sich zwei große Bereiche ausmachen: Den weitaus größten Raum nehmen dabei Streams
über Social-Media-Plattformen - konkret: über Youtube und Facebook - ein. Auf der anderen Seite stehen Streamings, die teils über private Web-TV-Anbieter, über Zeitungswebsites oder direkt über
diözesane Websites angeboten werden (meist dupliziert auf die jeweiligen Social-Media-Kanäle der Anbieter). Genutzt werden vor allem die Social-Media-Kanäle aus einem doppelten Grund: Man meint,
damit eine möglichst breite Masse an Interessierten zu erreichen - und dies vor allem niederschwellig in der Handhabe und kostenlos in der Produktion. Es genügt ein Handy, ein Laptop, eine
Internetverbindung - und los geht's.
Für Rahner käme dies wohl einem Kniefall vor der Kulturindustrie gleich, vor der bekanntlich bereits Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrer "Dialektik der
Aufklärung" in den 1940er-Jahren gewarnt hatten: Der subtile Druck, den das Medium ausübt, die in den allgegenwärtigen und doch unsichtbaren Algorithmus gegossene Botschaft lautet: Du sollst mich
klicken, mich konsumieren - und wenn nicht mich, so doch eines der vielen Angebote, die gleichzeitig in den Sidebars aufpoppen - ob Videos, ob Werbung. Damit - so könnte man mit Rahner sagen -
macht sich der Gottesdienst vollends den Dingen der Welt gleich. Er ringt mit Medikamenten gegen Blasenschwäche, mit Corona-Videos und religiösen Alternativ-Angeboten um Aufmerksamkeit. Und wird
vermutlich in den meisten Fällen aufgrund der oft dilettantischen Inszenierungsform nach einigen Minuten unterliegen.
Zudem braucht es m.e. ein Nachdenken über die Formen des Gestreamten. In einem Kathpress-Interview verwies zuletzt etwa die Innsbrucker Theologin und Medienexpertin
Claudia Paganini darauf, dass es eine bloße Format-Übertragung dem Medium Internet nicht gerecht werde. Anders gesagt: Während im Fernsehen als einem klassischen Sender-Empfänger-Medium
Gottesdienstübertragungen noch "funktionieren", da sie sich an ein weitgehend passives (im Idealfall den Gottesdienst mit innerer Teilnahme mitfeierendes) Publikum wenden, ist das im Web anders:
Hier braucht es die Interaktion, die Beteiligung, das Mitgestalten, das Eingreifen. Gerade bei einem dialogischen Geschehen wie dem Gottesdienst, der auf die aktive Mitfeier der Gemeinde - auf
Gesang, Fürbitten, Lektoren, liturgisch Antwortende etc. angewiesen ist. Die Skurrilität, die vielen aktuellen Streaming-Gottesdiensten innewohnt, rührt ja genau daher, dass eben diese
Möglichkeiten nicht genutzt werden und eine weder dem Medium noch dem gottesdienstlichen Geschehen selbst gerecht werdende Form der Inszenierung gewählt wurde.
Plädoyer für kirchliche Streaming-Plattform
Was bleibt also? - Um es positiv zu wenden: Denkbar wäre ein eigenes kirchliches Streaming-Portal. Ein Angebot, das für alle Pfarren und Priester gleichermaßen
offen steht als Host des jeweiligen Streams. Ohne Werbung, ohne algorithmisch orchestrierte Störgeräusche - und zugleich unter Ausnutzung all jener interaktiven Möglichkeiten, die das Medium
bietet, sprich: der gezielten (nicht notwendigerweise beliebigen) Beteiligung anderer am Gottesdienst. Das wäre noch immer kein Gottesdienstgeschehen, wie es Rahner vorschwebte - und auch kein
Ersatz für einen "wirklichen", mit leiblicher Präsenz vor Ort gefeierten Gottesdienst - aber es wäre vielleicht ein Schritt in Richtung einer medienkritisch begleiteten neuen Zukunft kirchlicher
Streaming-Angebote.
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Nanny Diepet (Mittwoch, 13 Mai 2020 17:30)
Wenn ich da alles richtig verstanden habe,wird der Gottesdienst,der im Fernsehen übertragen wird," angeprangert ".
Ich kann jetzt nur für mich sprechen,und muß dazu sagen,ich mag vielleicht darin altmodisch sein,aber der Besuch eines Gottesdienstes ist für mich nur in der Kirche möglich,ich habe dort die Nähe die ich brauche.das kann ich beim Fernsehen nicht empfinden.
Ich warte also geduldig,bis ich einen Gottesdienst wieder " genießen " kann.
Liebe Grüße
Nanny Dieper