Am 24. März feierte der deutsche Schriftsteller Martin Walser seinen 90. Geburtstag. Zuletzt hat er immer wieder auch mit religiösen Äußerungen für Aufsehen gesorgt.
Im Alter werden selbst harte Knochen weich und fromm: Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man die letzten Passagen von Martin Walsers jüngstem Buch "Statt etwas oder Der letzte Rank" liest, in denen der Autor, der am 24. März seinen 90. Geburtstag feierte, über Versöhnung und Vergebung schreibt und dabei die Vokabel der Barmherzigkeit wie eine dunkle Perle zum Leuchten bringt. Unter den Großwörtern der Geistesgeschichte sei Barmherzigkeit eines der größten, da sie eine Zuwendung zum Menschen verspricht ohne jede Vorleistung - gleichsam als Ausweg aus dem von Walser immer wieder attestierten "Reizklima des Rechthabenmüssens". Ein Fall von Altersmilde? Eine still nickende Form der Zustimmung zum Pontifikat von Papst Franziskus gar, das sich ganz der Barmherzigkeit verschrieben hat
Tatsächlich sei diese Passage am Ende des aktuellen und vielleicht letzten Walser-Romans eine beachtliche, attestiert der Wiener Theologe und Literatur-Experte Jan-Heiner Tück. "Mit großem Wohlwollen nimmt Walser hier den Begriff der Barmherzigkeit als eine Art Gegenprogramm zu einer weit verbreiteten Kultur der Teilnahmslosigkeit auf", so Tück. Und wenn es im letzten Abschnitt heiße, dass der Protagonist nichts mehr wissen wolle "von den Quartieren, in denen das Rechthaben blüht", so lese sich dies fast wie eine Art spätes Glaubensbekenntnis.
Frühe religiöse Impulse
Doch tatsächlich seien im Werk Walsers schon früh religiöse, ja, theologische Motive präsent, weiß Tück zu berichten. So verweist Tück etwa auf die Dankesrede Walsers zur Verleihung des Büchner-Preises 1981. Darin habe Walser die Spur des abwesenden, ja, fehlenden Gottes bereits klar zum Ausdruck gebracht. Statt gelangweilt zuzuschauen, "wie Gott in den Laboratorien der Theologie zerbröselt wird", gelte es den Leere-Schrecken Georg Büchners neu ernst zu nehmen. Walser zitiert die berühmte Formulierung aus "Dantons Tod": "Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus." Gott sei gestorben, weil der Schrei der Elenden so oft resonanzlos verhallt sei. Die Frage der Theodizee ist demnach der zentrale Impuls der Gottesverstörung - zugleich aber auch jener Impuls, der gegen eine weit verbreitete "Kultur der Teilnahmslosigkeit" ins Felde zu führen sei, so Walser damals.
Aufsehen erregte schließlich Walsers Essay "Über Rechtfertigung, eine Versuchung" von 2012. Auch darin habe Walser das Motiv des fehlenden und zugleich vermissten Gottes artikuliert und damit einen "Phantomschmerz artikuliert, den viele kennen, aber nur wenige aussprechen", so Tück: "Es fehlt etwas, wenn die Rede von Gott wegbricht oder gesellschaftlich tabuisiert wird." Und bereits in diesem Essay finde sich als Ausweg aus dem "Reizklima des Rechthabensmüssens" jene Figur der Gnade, die Walser in seinem Spätwerk weiter umkreist habe - etwa, wenn er den Gedanken formuliert, was wäre, wenn es jemanden gäbe, der den Menschen gnädig ansehe, der ihn annehme ohne jede Vorleistung, aus reiner Gnade? "Walser erinnert somit Theologie und Gesellschaft gleichermaßen an die schmerzhafte Leere, die der nicht mehr geglaubte Gott hinterlässt", so Tück.
Schaler Beigeschmack
Zugleich verweist der Wiener Dogmatiker, der aktuell eine viel beachtete eigene "Poetik-Dozentur" zum Thema Literatur und Religion an der Universität Wien initiiert hat, auf die Zwiespältigkeit im Blick auf Walsers kulturpolitische Aussagen. So hatte Walser bei seiner Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 einen Eklat ausgelöst, als er formulierte: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets [...]."
Auch Walsers Stellungnahmen zum Holocaust-Mahnmal in Berlin, welches er einmal als "Kranzabwurfstelle" bezeichnete, sowie seine an den Sprachgebrauch der Neuen Rechten erinnernde Wortwahl würden einen "schalen Beigeschmack" hinterlassen, so Tück. Zwar habe Walser seine Ausführungen in der Frankfurter Paulskirche später partiell zurückgenommen, die Frage stehe jedoch im Raum, in wieweit gerade Walsers frühes Auftreten gegen eine "Kultur der Teilnahmslosigkeit" sich mit seinen Auslassungen gegen die deutsche Erinnerungskultur vertrage.
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Meyer (Freitag, 14 April 2017 18:05)
Einen freundlichen Gruß von Wilfried Meyer info@wilfriedmeyer.com
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August (Donnerstag, 27 Juli 2023 07:14)
Es gibt keine „weibliche Eugenik“, das zu glauben, grenzt an Debilität! Dann wäre mir dies scheußliche Leben erspart geblieben. Der Autor macht hier Eigenwerbung, dann auch noch für eine Buch, das zwar in der Absicht vielleicht löblich, abber dennoch falsch ist. Meyer ist Darwinist, folgt also einer Weltanschauung, die unwahr ist. Auf seinem Blog (auf web.archive.org noch lesbar) schreibt er, daß wohl auch „Menschen-Frauen“ unbewußt die Gene auswählten – wie es eben im Tierreich geschehe.
Das nun aber ist grundfalsch, ja so falsch, wie es falscher nicht sein kann. Denn Frauen haben kaum eine Wahl in dieser Hinsicht getroffen; vielleicht hätte Meyer, statt dauernd auf Naturwissenschaft und Mathematik zu pochen, etwas mehr Geschichte lesen sollen. Denn jene sind ohnehin Spezialfertigkeiten, hängen mit dem IQ selbst nicht groß zusammen (s. z. B. „The Gap“ von Nils M. Holm auf t3x.org; man kann mathematisch eher schwach sein, aber dennoch einen verbalen IQ aufweisen, der drei bis vier Abweichungen überm Mittel liegt. Auch Volkmar Weiss irrt hier, mit dem Meyer befreundet war).
Es ist ärgerlich, daß man immer wieder, nicht nur von jemandem wie Meyer, immerhin 1929 geboren, solchen Mumpitz zu ertragen hat. Sein atheistisches Weltbild, das er nur durch Geschichtsklitterung aufrecht erhalten konnte (er meint, „braune“ wie „rote“ „Faschisten“ wären gläubig gewesen, womit er sogar beweist, daß er nicht weiß, was Faschismus ist).
Wer setzt Moral? Nicht der Mensch, auch nicht Sokrates. Denn Platon schon wußte, daß Moral „empfangen“, entgegengenommen werden muß. Daher werden all diese Ethikdebatten endlos bleiben; Moral kommt von Gott, nicht von Eierköpfen. Denn wer wollte mir den Selbstmord verbieten? Auch schon mit achtzehn? Meyer schon, wenn er auch nicht gegen jede Selbsttötung ist. Aber er hätte ja gar keine Gründe, mir diesen zu verbieten; ein Christ dagegen, lehnt man ihn als Atheist auch ab, bleibt glaubwürdig, da er sich an die Moral hält, die Gott dem Menschen auferlegt.
Es bleibt dabei: Moral ohne Gott ist nicht möglich, und weibliche Eugenik gibt es nicht, ganz gleich, was Meyer meinen mag. Denn er geht von einem falschen Menschenbild aus: der Mensch ist gefallen, befindet sich unter der Sünde. Sünde und Erlösungsbedürftigkeit „kraus“ zu nennen, wie er es auf seinem Blog tut, ist bloß seinem eigenen Stolz geschuldet; er leugnet damit auch die Existenz des Bösen (man ist dann entweder Psychopath oder einfach jemand, der nicht wahrhaben möchte, daß das Böse existiert und sich selbst belügt).
Meyer belügt sich ja selbst, wenn er die Nachfolge Christi fordert, aber bitte ohne Glauben. Auch in der Ehe, in der heute soviel Chaos wie noch nie zuvor herrscht? Im Kommunismus forderte man ja bereits einen christlichen Lebenswandel ohne Glauben, was nicht funktionierte und auch nicht funktionieren kann. Wo bleibt auch Raum zur Reue und Buße ohne Gott? Traurig, daß er in hohem Alter noch solchen Unfug vertrat.