Während sich die Debatte um das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion in letzter Zeit im deutschsprachigen Raum beruhigt hat, hat sie in Großbritannien einen neuen, viel beachteten Höhepunkt gefunden: So kreuzten jüngst an der Universität Oxford der Advokat eines radikalen, agnostischen Naturalismus, Richard Dawkins, und der anglikanische Primas und Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, die Schwerter.
Die vom britischen Philosophen, früheren katholischen Priester und nunmehrigen erklärten Agnostiker Sir Anthony Kenny geleitete, weltweit ins Internet gestreamte Diskussion stand unter dem Titel "Nature of human beings and the question of their ultimate origin". Das Ergebnis: ein erstaunlich respektvoller, über weite Strecken amüsanter und tiefsinniger Dialog über die Grenzen der Naturwissenschaften - und über die Grenzen der Religion. So erlebte das Publikum in Dawkins weder einen Krawall-Atheisten im "Gotteswahn" noch in Williams den Verteidiger einer christlichen Schöpfungstheologie, die sich mit dem Feuerschwert gegen die Naturwissenschaften zur Wehr setzte. "No knockout blows" im "fight between the champions of atheism and Christianity" bestätigte der "Guardian" im Anschluss; der "High noon in Oxford", von dem anderen Medien sprachen, kannte keinen Sieger - außer dem Publikum.
Im Einzelnen führte Kenny seine Diskutanten mit viel Geschick durch vier Kapitel: die Frage nach der Natur des Menschen, die Frage nach dem Ursprung der menschlichen Spezies, die Frage nach dem Ursprung des Lebens auf der Erde insgesamt - und schließlich die Frage nach dem Ursprung des Universums. Weitgehende Einigkeit herrschte dabei u.a. im Blick auf die Rolle moderner Naturwissenschaften und ihrer Theoriebildung und Methode. Williams widerstand der Verlockung, in evolutive Mutationssprünge Gott hineinzureklamieren. Dawkins verzichtete seinerseits auf eine untergriffige Aburteilung bekennender Christen - u.a. indem er sich selbst ironisch als "kulturellen Anglikaner" bezeichnete, der zu "Ihm" spreche oder unter der Dusche kirchliche Lieder singe.
Dawkins eröffnete gleich zu Beginn erwartungsgemäß mit einer von Darwin ausgehenden Vorlage: Die natürliche Selektion sei die entscheidende Kraft, die die ganze Vielfalt allen Lebens - "so wunderbar, dass man es kaum glauben kann" - hervorgebracht hat; zugleich fuße die heutige Naturwissenschaft letztlich auf dieser bahnbrechenden Einsicht Darwins, da sie die Menschen von der "Illusion des Designs" befreit habe, die die Menschheit bis Mitte des 19. Jahrhunderts "zum Narren gehalten" habe. Wobei - wie Dawkins fast schelmisch einräumte - angesichts des "wunderbaren" Gedankens einer die gesamte Entwicklung des Lebens umfassenden Theorie ein "Rückfall auf die Design-Idee" fast nahe lag.
Keine naturalistische Reduktion des Subjekts
Erzbischof Williams ließ sich von diesem Argument nicht aus der Ruhe bringen und parierte die Attacke gelassen mit dem Hinweis, er sei kein Anhänger des "intelligent design" oder gar eines Kreationismus. Er gehe mit Dawkins gerade in der Würdigung des Prozesses der Evolution und der natürlichen Auslese ganz konform; er frage sich aber, ob nicht "ein Universum, dass auf physikalischen Gesetzen beruht, aber schließlich etwas nicht allein durch physikalische Gesetze erklärbares wie das menschliche Bewusstsein hervorbringt, den Kontext einer anders gearteten Intelligenz benötigt". Schließlich stelle die menschliche Sprachbegabung und das Ich-Bewusstsein etwas spezifisch Menschliches dar, das nicht ohne weiteres aus Selektionsprozessen erklärbar sei.
Mit seinem Plädoyer gegen eine Reduktion des Subjekts und seines Ich-Bewusstseins auf seinen genetischen Code und physikalische Prozesse im Hirn hatte Williams zugleich auch Moderator und Philosoph Kenny auf seiner Seite. Die Idee eines "materiellen Determinismus" würde schließlich mit einer Vorhersagbarkeit von menschlichen Entscheidungen einhergehen - was weder wissenschaftlich noch philosophisch haltbar sei. "So schnell kann man den freien Willen nicht verabschieden", so Kenny.
Die Herausbildung der menschlichen Sprachbegabung stelle tatsächlich etwas "einzigartig Menschliches" dar, räumte Dawkins ein. Studien hätten gezeigt, dass dies durch besondere genetische Mutationen möglich wurde - "ein außergewöhnlicher Moment und ein besonderer Schritt in der Evolution", so Dawkins - aber doch immer noch nur ein Schritt in der Evolution und kein Resultat göttlichen Eingreifens.
Leid-Frage "die fundamentalste Frage überhaupt"
Aus dem Publikum wurde schließlich die Frage nach der Rolle menschlichen Leidens bzw. tragischen frühzeitigen Sterbens und dessen Bewertung aus Sicht der Evolutionsbiologie und der Religion eingebracht. Dawkins kurze Antwort: "Es ist hart. Aber solche Dinge passieren einfach" - schließlich führte er aus: Gerade die vom Menschen als tragisch erfahrenen Dinge wie vorzeitiges Sterben durch Unfälle oder Krankheiten etwa von Kindern sei "die Essenz der natürlichen Selektion". Es gehe in der Evolution gerade um dies: "den Tod vor der eigenen Reproduktion" - so hart dies auch klinge. "Wenn man von der Idee eines alles übergreifenden Sinns absieht, dann bleiben genau diese blinden Kräfte der Natur über - und Darwin selbst hat im Angesicht dieser Kräfte gesagt, dass er nicht mehr an einen gütigen Schöpfergott glauben könne", so Dawkins.
Erzbischof Williams bestätigte seinerseits, "damit an die fundamentalste Frage der Diskussion überhaupt" zu rühren. Er selbst habe "keine Antwort" auf diese Frage. Er sehe, "dass wir in einer Welt des ständigen Wandels und der Veränderungen leben", in denen die Individuen zum Spielball vieler verschiedener Kräfte und Zufälle würden. "In einer Welt, in der wir die Bedingungen unserer Existenz nicht mehr kontrollieren können, passieren tragische Dinge einfach".
Von Gott als Schöpfergott zu sprechen bedeute in dieser Situation jedoch, die Hoffnung auszudrücken, dass Gott selbst im Tod "nicht die Verbindung zu mir kappt". Problematisch werde es jedoch in der Tat, so Williams, wenn man mit der Rede vom Schöpfergott aussagt - wie es die moderne Theologie intendiert -, dass die Welt als Gottes Schöpfung "verstehbar" und von einer Rationalität durchwirkt ist. Im "Mikromanagement" der innerweltlichen Abläufe würde das dann ja letztlich bedeuten, dass Gott selbst in tragischen Momenten, Toden und Unfällen seine Finger im Spiel habe. "Bei diesen Dingen bin ich sehr vorsichtig."
"Moralische und spirituelle Position verstehen"
Schließlich rückte die Diskussion damit immer näher an die Frage nach dem Ursprung des Universums überhaupt heran. Auch da machte Dawkins wieder erwartungsgemäß eine steile Vorlage mit seiner Frage an Williams und zugleich an alle religiösen Menschen: "Warum verschwendet ihr eigentlich eure Zeit damit, die Genesis neu zu lesen und für das 21. Jahrhundert umzuinterpretieren, wenn sie in ihren Basisaussagen doch falsch ist? Warum greift ihr bei den Fragen nach den Ursprüngen der Welt nicht nur auf die Wissenschaften des 21. Jahrhunderts zurück?"
Williams parierte mit der Feststellung, dass die biblischen Autoren nicht im Sinn hatten, die Erkenntnisse moderner Physik vorwegzunehmen. Wenn heute die Genesis gelesen wird, so nicht, um physikalische Erkenntnisse über den Ursprung der Welt zu erfahren, sondern um zu erkennen, dass "das Universum von Gott und Gottes Freiheit abhängt". Außerdem zeige die biblische Schöpfungsgeschichte, dass der Mensch "eine sehr spezielle Rolle in diesem Universum vom ersten Moment an" hat und er diese Rolle zugleich ständig "verfehle", so Williams. Das sei der Beginn der Bibel und der Beginn der Geschichte des Menschen mit Gott. Außerdem wolle er seine "moralische und spirituelle Position im Universum verstehen" - da würden ihn aber gerade die Naturwissenschaften im Stich lassen.
Auf das darauffolgende Stirnrunzeln des Evolutionsbiologen Dawkins reagierte Moderator Kenny mit dem Einwurf: "Sie, Herr Dawkins, haben ja bekanntlich ein schwieriges Verhältnis zu Gott...". "Nein", warf Dawkins ein, "das stimmt so nicht". Er habe in seinem Buch "The God Delusion" (Der Gotteswahn) eine 7-stufige Skala der Plausibilität des Gottglaubens entwickelt - von 1 = "Ich weiß, dass Gott existiert" bis zu 7 = "Ich weiß, dass Gott nicht existiert". Er selbst sortiere sich darauf auf Stufe 6 ein, so Dawkins. Warum bezeichne er sich denn dann nicht als "Agnostiker", fragte Kenny weiter. "Das tue ich... OK, ich bin wohl eher eine 6,9 auf der Skala", räumte Dawkins ein.
Gott: Chaos oder Ordnung?
Was seien denn dann die konkreten Gründe, die er für die Nicht-Existenz Gottes anführen könne, bohrte Kenny nach. Zum einen sei dies, dass hochkomplexe Abläufe "nicht einfach so passieren", sondern - was Darwin in hoher Perfektion vorgemacht habe - sich durch ein stringentes, kausal zusammenhängendes Theoriegeflecht erklären lassen: "Er hat erklärt, dass man - auch ohne einen Designer annehmen zu müssen - von extremer Simplizität zu großer Komplexität kommen kann". Die Aussage, man glaube an Gott als den Schöpfer aller Dinge, "unterminiert die gesamte rationale Grundlage dieser Theoriebildung" und untergrabe letztlich "alles, wofür moderne Wissenschaft steht", so Dawkins. Das Bewusstsein, die Intelligenz, die Komplexität und die Schönheit des Existenten - dies alles sei "Teil der Entwicklung", die Darwin plausibel gemacht habe.
Schließlich wandte sich Dawkins damit in einer letzten Wendung erneut mit einer Frage an Williams: "Was ich nicht verstehe: Warum könnt ihr nicht die Faszination der Idee akzeptieren, dass wir das Universum, die Welt erklären können aus dem Nichts heraus. Das ist eine so tolle, elegante Sache - warum wollt ihr eure Weltsicht verstellen mit einem so chaotischen Gedanken wie jenem eines existenten Gottes?"
Williams Antwort brachte schließlich die gesamte eineinhalbstündige Diskussion abschließend auf den Punkt: "Ich stimme Ihnen vollkommen zu bei Ihren Ausführungen zur Schönheit und Eleganz und Tragweite der naturwissenschaftlichen Theoriebildung. Das inspiriert mich sehr, denn ich sehe diese Theorie durch Gott umrahmt - aber ich sehe in Gott gerade kein Chaos einziehen; außerdem ist Gott nicht eine Idee, die wir nachträglich in unser Weltbild hineinreklamieren müssen. Diese 'Chaos-Frage' trennt uns, glaube ich, wirklich. Davon abgesehen, fühle ich mich Ihnen in vielem sehr verbunden."
Erschienen im "Kathpress-Infodienst" vom 9. März 2012 (www.kathpress.at)
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